Frankfurter Rundschau | 10. September 2025 | Magazin – Politik
Afrin, eine kurdische Stadt in Nordsyrien, wird seit 2018 von der Türkei besetzt. Die malerischen Kiefernwälder wurden abgeholzt, das kostbare Olivenöl geschmuggelt, und Ströme und Seen sind ausgetrocknet. Nun, da viele Menschen aus dem Exil zurückkehren, wollen sie ihr Land und ihre Kultur wieder beleben.
Eine Reportage von Philippe Pernot (Text und Bilder)
Ein Meer aus Olivenbäumen erstreckt sich so weit das Auge reicht über sanfte Hügel. Die untergehende Sonne taucht ihre knorrigen Stämme in goldenes Licht. Afrin, eine mehrheitlich kurdische Stadt im Norden Syriens, ist unter Kurd:innen als Paradies auf Erden bekannt, und ein einziger Blick genügt, um diese Begeisterung zu verstehen. Der überwiegende Teil der Umgebung ist ausschließlich dem Olivenanbau gewidmet und sein „gelbes Gold“ ist weltweit bekannt.
Doch an diesem milden Sommertag häufen sich die Anzeichen einer Katastrophe. Wie ganz Syrien hat auch Afrin dreizehn Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Und die Folgen für die Umwelt sind spürbar: Entwaldung, Dürre, Plünderungen … in Metina, einem Dorf etwa zwanzig Minuten von Afrin entfernt, schlängelt sich eine Straße über Hügel, die idyllisch wären, wenn noch Bäume darauf stünden. „Milizen und unbekannte Zivilisten haben fast alle Kiefernwälder in der Umgebung abgeholzt, um das Brennholz anderswo in Syrien zu verkaufen – bis zu 150 Dollar (etwa 130 Euro, Anm. d. A.) pro Tonne“, seufzt Abu Ibrahim, ein Familienvater, der aus Angst vor Repressalien anonym bleiben möchte. Ein Vermögen in einem Land, in dem Staatsangestellte kaum mehr als 50 Dollar im Monat verdienen.
Auf einer Tour durch die Region zeigt er überall auf kahle Berggipfel. „Die meisten Olivenbäume haben sie stehen lassen, weil sie privaten Eigentümern gehören, aber die Kiefernwälder im öffentlichen Besitz wurden abgeholzt“, erklärt er. Doch auch seine Olivenbäume sind nicht unbeschadet davongekommen. „Vor zwei Monaten haben Unbekannte Äste von 28 meiner Bäume abgeschnitten, so dass sie keine Oliven mehr tragen können und noch mehr unter der Trockenheit leiden: Wenn das so weitergeht, werden wir unsere gesamte Ernte verlieren“, sagt er und zeigt uns die verstümmelten Bäume.
Angst vor willkürlichen Eingriffen
„Während des Krieges haben alle Seiten Abholzungen vorgenommen: die Kurden gegen die Araber, die Araber gegen die Kurden und so weiter. Aber jetzt, da der Krieg vorbei ist, gehen die Übergriffe weiter und wir leben immer noch in Angst“, empört er sich. Nachdem Afrin 2013 durch das Eintreffen der YPG (Volksverteidigungskräfte, kurdische Miliz) vom Joch Assads befreit worden war, freute sich die Bevölkerung darauf, ihr bisher verbotenes kurdisches Erbe wiederentdecken zu können. Doch 2018 wurde die Stadt von der türkischen Armee und ihren Hilfstruppen, einer Gruppe syrischer Milizen, die unter dem Namen Syrische Nationalarmee (SNA) bekannt sind, eingenommen.
Sie verhängten dort eine willkürliche Herrschaft, während die Region die türkische Währung, Post- und Telefondienste übernahm. Seit dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember letzten Jahres wurden die protürkischen Milizen in die neuen syrischen Sicherheitskräfte eingegliedert und bekleideten hohe Ämter, aber die Einwohner:innen versichern, dass sich nichts geändert hat – und dass die türkische Vorherrschaft weiterhin spürbar ist: eine Besatzung, die aus Angst niemand beim Namen nennen will.
„Die meisten Kontrollpunkte wurden aufgegeben, aber auch unter der neuen syrischen Regierung sind die Milizen weiterhin präsent“, versichert Assad Youssef, Umweltaktivist und ehemaliges Mitglied des Stadtrats von Jinderes, einer Stadt wenige Kilometer von Afrin entfernt. Der Mann mit dem schmalen Gesicht, selbst Olivenbauer, hat als Koordinator der Feuerwehr der Stadt die Umweltschäden aus nächster Nähe miterlebt. „Mehr als 1000 Hektar Kiefernwald wurden hier abgeholzt oder in Brand gesteckt, und diejenigen, die dafür verantwortlich waren, schossen auf uns, als wir kamen, um die Brände zu löschen“, sagt er.

Die Olivenhaine, der Schatz von Afrin, sind für den mächtigen Nachbarn Türkei zum Objekt der Begierde geworden. „Die Türkei kauft das Olivenöl aus Afrin zu niedrigen Preisen, bringt es auf die andere Seite und verkauft es dann auf den internationalen Märkten als türkisches Öl, das drei- bis viermal so teuer ist!“, empört er sich. „Sie kontrollieren die Preise und die Warenströme, die Landwirte von Afrin stehen völlig unter ihrer Knute.“
Seine Behauptung wird durch Untersuchungen internationaler Medien und Aussagen anderer lokaler Politiker bestätigt. Vor Ort an der Grenze zwischen den beiden Ländern steht eine Betonmauer, die mit Stacheldraht bedeckt und von Wachtürmen umgeben ist, gestrichen in den Farben der türkischen Flagge. Ein Konvoi türkischer Panzer taucht auf und begleitet Lastwagen voller Kanister zur hochmilitarisierten Grenze. Etwas weiter entfernt thront der Sitz des türkischen Unternehmens, das für diesen illegalen Handel verantwortlich ist und gegen das Europaabgeordnete 2019 Sanktionen gefordert haben – die bis heute ohne Wirkung geblieben sind.
Der Bürgermeister von Afrin, Mohammad Sheikh Rashid, widerspricht dieser Darstellung der Ereignisse. „In der Vergangenheit hat der Gemeinderat von Afrin den Export von Olivenprodukten in die Türkei über eine Genossenschaft erleichtert und so dafür gesorgt, dass die Landwirte mangels formeller Handelskanäle nicht ausgebeutet werden“, sagt er. Für ihn ist der Olivenbaum „ein Symbol für Identität und Erbe in Afrin. Und einige Bäume sind über hundert Jahre alt und wurden von Generation zu Generation weitergegeben – aber der anhaltende Konflikt, die Vertreibung der Bevölkerung und die mangelnde Sicherheit haben die Olivenproduktion schwer beeinträchtigt“, fügt er hinzu.
Noch beunruhigender ist, dass am künstlichen See Maydanki, eine halbe Stunde von Afrin entfernt, nicht nur 90 Prozent der Waldfläche verschwunden sind, geschätzt zwischen 31 000 und 36 000 Bäume, sondern auch der Wasserstand gesunken ist, wie der lokale Umweltaktivist Walid Othman berichtet. „Der natürliche Lebensraum von Süßwasserfischen und Wasservögeln ist bedroht, und die Bewässerung der Landwirtschaft leidet darunter, so dass die Bauern gezwungen sind, tiefere Brunnen zu graben“, erklärt er, während der Fluss Afrin und seine Nebenflüsse in der Umgebung fast ausgetrocknet sind.
„Während des Krieges haben alle Seiten Abholzungen vorgenommen: die Kurden gegen die Araber, die Araber gegen die Kurden und so weiter. Aber jetzt, da der Krieg vorbei ist, gehen die Übergriffe weiter und wir leben immer noch in Angst.“Abu Ibrahim
Eine alarmierende Feststellung, die auch Abu Zana, Mukhtar (übersetzt etwa „Vorsteher“, Anm. d. A.) von Bassuta, macht, dem zufolge Maydanki 50 Prozent seines ursprünglichen Wasserstands verloren hat. „Unser Fischteich ist ausgetrocknet, wie die meisten Bewässerungskanäle, und viele unserer Bauern geben auf“, seufzt er. Die Ursachen für diese Katastrophe sind naturbedingt, da Syrien laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO die schlimmste Dürre seit 60 Jahren erlebt – aber auch politischen Ursprungs.
„Die Türkei hält das Wasser stromaufwärts für ihre eigene Landwirtschaft zurück, die ebenfalls unter der Dürre leidet“, glaubt er. Eine Idee, die von vielen Einwohner:innen und Medien aufgegriffen wird, aber schwer zu überprüfen ist. „Früher habe ich etwa 5000 Quadratmeter große Felder aller Art bewirtschaftet; jetzt habe ich nur noch Wasser für wenige Meter“, sagt Mami Kara Mustafa, Landwirt und Viehzüchter im Dorf Haj Iskandar, Schritte von einem ausgetrockneten Bewässerungskanal entfernt.
Er zeigt uns das Zelt, in dem er lebt. Sein Haus wurde bei einem verheerenden Erdbeben zerstört, genau wie Teile der notwendigen Infrastruktur. „Viele artesische Brunnen sind durch die Erschütterungen eingestürzt, was unsere Wasserversorgung gefährdet hat; die Dürre macht das Ganze noch schlimmer“, berichtet er, während er den Ziegen und Schafen Heu füttert.
Sicher ist: Die Einwohner:innen von Afrin sind traumatisiert von den Jahren der Willkür. „Jede bewaffnete Gruppierung erhob Steuern auf landwirtschaftliche Produkte, die das Dorf verließen, je nach Laune der Milizionäre. Es war chaotisch“, erinnert sich Abu Zana, Mukhtar der Agrarstadt Bassuta, einem der paradiesischsten Orte in Afrin. Hier liegen Obstgärten mit reifen Früchten – Feigen, Birnen, Äpfel, Nektarinen – neben grünen Tälern. „Manchmal stritten sich die Milizionäre untereinander und drangen in unsere Obstgärten ein, während sie aufeinander schossen“, erinnert er sich.
Eine weitere Dimension dieser türkischen Besatzung, die sich nicht offen zeigt, ist der demografische und kulturelle Wandel. „Was geschah, war, dass türkische oder katarische Hilfsorganisationen kamen und Flüchtlingslager dort errichteten, wo die Wälder abgeholzt worden waren“, erklärt Assad Youssef in Jinderes. Verlassene Flüchtlingslager, mehrere Betonruinen ohne Dächer, erstrecken sich dort über die kahlen Hügel der Gemeinde.
Neue Gedichte, wieder auf Kurdisch
Tausende von vertriebenen Familien waren während des Kriegs aus anderen Teilen Syriens geflohen und wurden von protürkischen Milizen hier angesiedelt, um die kurdische Bevölkerung durch arabische Familien zu „ersetzen“, sagt Ahmed Hassan, Präsident des Kurdischen Nationalrats in Afrin. „Jetzt sind fast alle Vertriebenen weg, und die Mehrheit der kurdischen Familien ist zurückgekehrt: Der Plan zur demografischen Ersetzung wurde durch den Willen der Menschen, in ihre Heimat zurückzukehren, vereitelt“, sagt er.

Seiner Meinung nach versuche die Türkei, die kurdische Kultur in Afrin zu unterdrücken. „Die Stadt hat sich stark verändert, überall wurden Moscheen errichtet, in den Schulen wird Türkisch als Unterrichtssprache vorgeschrieben, und die türkische Armee ist immer noch im Hintergrund präsent“, erklärt er. Eine Strategie, deren Opfer unter anderem die Umwelt geworden ist. „Es ist eine Qual zu sehen, wie unsere Wälder abgeholzt werden: Wir kamen hierher, um zu picknicken, zu tanzen, zu singen, den Sonnenuntergang zu beobachten … Sie waren für die lokale kurdische Kultur von entscheidender Bedeutung“, erinnert sich mit trauriger Stimme ein Einwohner von Jinderes, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte.
Seit dem Sturz des Assad-Regimes und der Rückkehr von 400 000 kurdischen Vertriebenen kann ihre Kultur wieder offener zum Ausdruck kommen. Mahmoud Bremeje, kurdischer Dichter, Schriftsteller und Sprachlehrer aus Kafr Safra, einem nahe gelegenen Bauerndorf, ist einer derjenigen, die sich für den Schutz ihrer Kultur einsetzen. Zwischen 2014 und 2023 wohnte er in der Türkei, wo er Unterricht für syrische Flüchtlingsschüler gab. „Unter der Herrschaft der Milizen waren viele Intellektuelle und Aktivisten aus Angst um ihr Leben gezwungen zu fliehen, insbesondere in die Türkei. Als Dichter oder Schriftsteller konnte man von jedem Mitglied einer bewaffneten Gruppe bedroht oder getötet werden, ohne dass jemand dafür zur Rechenschaft gezogen worden wäre“, sagt er, umgeben von Katzen, die er von der Straße gerettet hat.
Schon davor wurde mehr als 40 Jahre lang die kurdische Sprache und Kultur vom Assad-Regime verboten, Schriftsteller:innen und Dichter:innen häufig inhaftiert und Bücher zensiert. So wagte er sich nicht, seine Gedichte zu veröffentlichen. „Selbst ein einfaches Gedicht konnte als Bedrohung der staatlichen Souveränität interpretiert werden. Daher war ich gezwungen, in Metaphern zu schreiben und meine eigentlichen Botschaften zu verschleiern“, sagt er – so hätte er einige Gedichte unter einem Baum in einer Metallkiste begraben – und erst nach dem Sturz des Regimes wieder geborgen.
Das hat sich inzwischen geändert. „Ich fühle mich innerlich ruhiger, was mir ermöglicht hat, wieder zu schreiben.“ Derzeit arbeitet er an einem neuen Gedichtband auf Kurdisch, der sich mit seiner Vision eines neuen Syriens befasst: der Hoffnung auf eine Welt „ohne Unterdrückung, auf echte Demokratie, auf Regierungen, die Menschen nicht dafür kriminalisieren, dass sie in ihrer Muttersprache lernen“ – sei es Kurdisch, Arabisch, Turkmenisch oder Armenisch, alle Sprachen, die seit Jahrhunderten in Syrien gesprochen werden. „Ein Land mit vielen Kulturen ist wie ein Garten voller Blumen in allen Farben, die beschützt werden müssen“, meint der Schriftsteller.
Mitarbeit von Yaser Schahrur